Unmittelbar hinter mir liegt ein Leben voller tiefer Begegnungen und prägenden Erlebnissen, doch in Wahrheit gehört dieses Leben nicht mir. In Wahrheit habe ich anderen mein Leben lang etwas vorgemacht.
Ich habe Menschen in mein Herz geschlossen, ohne mich ihnen zu offenbaren ‒ stattdessen war ich gefangen in einer Rolle. In meinem Inneren war nichts von mir zu finden. Und je mehr ich mich in das Schauspiel hineinsteigerte, das mein Gegenüber mit seiner Gestik und Mimik simultan vorgab, desto mehr verlor ich mich selbst in der Lüge.
Denn die Wahrheit ist, dass ich nicht wusste, wer ich war. Und um in jemandes Gegenwart meine Maske ablegen zu können, musste ich zuerst lernen, mich in meinem eigenen Spiegelbild wiederzuerkennen.
Wer ich wirklich war… ertrug ich nicht. Es schien in der Tat unerträglich zu sein, meine Lebensgeschichte Revue passieren zu lassen. So unerträglich, dass jede tiefere Begegnung mit ihr, in mir den Wunsch weckte zu sterben.
Jemand anderes zu sein, schien die schönste und liebreizendste Lüge zu sein, die ein Kind sich ausdenken konnte, das vor seiner Realität fliehen musste. Und es ist befremdlich zu beschreiben, wie es sich anfühlt, innerlich auseinandergefallen zu sein, einer Kohärenz hinterherzutrauern, die einst allgegenwärtig war und es nun nie mehr sein wird.
Wer einst meinen Platz einnahm, wenn ich in die Schule ging und mit meiner Familie an einem Tisch saß, existiert nur noch vage in Träumen, die mich nachdenklich werden lassen. In aller Eintaglebigkeit, schleichendem Zeitgefühl und entwurzeltem Alleinsein habe ich einen Ort gefunden, mich selbst zu suchen. Hier, innerhalb dieser vier Wände, in denen niemand außer mir auf mich einwirken kann.
Und sodann ich mich gefunden habe, möchte ich hinaus in die Welt, um endlich das Leben zu führen, das mir gehört.
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